Musikwirkung auf dich & dein Kind

Das ist die Podcastfolge Nr3 für dich aufgeschrieben. Der Anfang ist sehr theoretisch, aber sehr spannend zu wissen, wie das alles im Gehirn funktioniert - weiter unten wird es wieder praktischer.

Du erfährst: wie entsteht unser Musikgeschmack, warum ist Musik gut für die Entwicklung deines Kindes, warum Kleinkinder singen & wie Papa seine Stimme zur Entspannung einsetzen kann.

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  1. Musikwirkung auf den Menschen 

Über das Gehör verschaffen wir uns sozusagen ein Bild unserer Akustischen Umwelt. Das alleinige Umwandeln von Schallwellen in Nervensignale ist ein wenig zu kurz gegriffen. Es passiert dabei ziemlich viel. 

Auch wenn das ziemlich viele Einzelheiten sind, lohnt es sich da mal genauer drauf zu schauen, um zu verstehen, wieso Musik wirkt wie sie wirkt. Es geht jetzt also um das Grundverständnis, warum Musik eben so viel kann und warum Musik dir zu mehr Leichtigkeit im Familienalltag verhelfen kann.  

Die Musikverarbeitung verläuft auf drei verschiedenen Ebenen: 

  1. Psychophysiologische Konfiguration 

  1. Kognitive Verarbeitung 

  1. Analyse durch eine zentrale Steuerung 

 

Zu 1. Psychophysiologische Konfiguration: Sie ist eine unbewusste Ebene, die man sich auch nicht bewusst machen kann. Es werden z.B. die akustischen Reize identifiziert, Töne von Nebengeräuschen getrennt oder Musikinstrumente, Sänger*innen oder Sprecher*innen unterschieden. Das heißt, wenn du ein Musikstück oder Lied hörst, dann geht das alles erst mal automatisiert ab, ohne, dass du etwas tun kannst. Außer die vielleicht die Ohren zuzuhalten. 😉 

 

Zu 2. Kognitive Verarbeitung: diese ebene ist bewusstseinsfähig - aber nicht bewusstseinspflichtig. Hier arbeitet drei Prozeduren parallel an den reinkommenden Informationen. 

Prozedur A: Comprehension – hier werden zum Beispiel Töne zu Akkorden oder Regeln angewendet, sodass wir einen bestimmten Musikstil erkennen. 

Prozedur B: Familiarization & Valuation: betrifft Gedächtnis und Emotion. Aufgrund von Vergleichsprozessen mit gespeicherten Informationen aus dem Gedächtnis wird eine Entscheidung darüber getroffen, ob die ankommende Information neu oder bereits bekannt ist. Hier können wir auch Erinnerungen abrufen, die mit dem Lied verbunden sind. Zum Beispiel eben: ins Bett gehen, Zähneputzen oder die erste Liebe... Ebenso werden Emotionen wachgerufen, die mit diesem oder einem ähnlichen akustischen Erlebnis in Verbindung gebracht werden können. 

 

Prozedur A und B sind ausschlaggebend für deinen Musikgeschmack. Also, das was Emotionen in dir wachruft oder eben die Musik, mit der du etwas in Verbindung bringst. die musikalischen Informationen werden hier mit biographischen Erinnerungen und mit Hörerfahrungen zusammengeführt und zu einer unauflösbaren Einheit werden. 

 

Jetzt kommen wir noch zu Prozedur C: IRRELEVANCE AND INNOVATION - . Jede wahrgenommene Umweltinformation wird daraufhin untersucht, ob sie relevant ist oder zu einer Veränderung führen muss. Eine folgende Handlung kann zum Beispiel das Richten der Aufmerksamkeit auf Ausschnitte der Musik oder auf einzelne Instrumente sein. Oder führt dazu, dass du bemerkst, wenn ein Außengeräusch plötzlich leise wird. Dieser Moment, wenn man merkt – wow, das war laut und nervig! 

Diese drei Prozeduren sind miteinander verbunden. Im Zentrum stehen Amygdala und Hippocampus. Die spielen auch eine bedeutende Rolle für Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis. Hier treffen die vorverarbeiteten Informationen aus allen Sinnesbereichen ein –egal, ob du tastest, siehst oder eben hörst. Mit dem Amygdala-Hippocampus-System ist das limbische System verbunden. Von dem weiß man, dass es für die Entstehung von Emotionen zuständig ist. Die herausgearbeitete Information, dass eine Handlung ansteht, wird über die Amygdala ins basale Vorhirn und von dort über motorische Zentren zum motorischen Kortex weitergeleitet. Das heißt - du fängst an zu tanzen. 

 

Zu 3. Analyse durch zentrale Steuerung 

Jetzt haben wir es gleich geschafft! Die zentrale Steuerung unserer Denkvorgänge, und unserer kognitiven Prozeduren erfolgt bewusst. Wir richten unser Bewusstsein auf bestimmet Prozesse und lenken sie dadurch. Das heißt wenn wir merken, wir wollen zu der Musik tanzen, dann stehen wir eben auf und tanzen mit. 

 

Das war jetzt viel Information in kurzer Zeit. Ich hoffe, es hat sich gelohnt!





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2. Musik in deinem Körper

Musik kann unsere Stimmung innerhalb von Sekundenbruchteilen verändern. Sie kann die Seele erheben, Mitgefühl, Freude und Ekstase erzeugen und das Herz aufleben lassen. Musik wirkt sich auf viele Bereiche unseres Körpers aus: 

Atmung • Herzschlag • Blutdruck • Muskeltonus • Körperhaltung • Körpertemperatur • Stoffwechsel 

Man fragt sich jetzt wie sich Musik wirklich auf die oben genannten Punkte auswirken kann. Aber im menschlichen Körper hängt alles zusammen. Je nach Klangfarbe, Rhythmus, Harmonie, Tempo oder Tonart der Musik kann sie beruhigen, harmonisierend, aktivierend, aber auch in seltensten Fällen Angst auslösend wirken.  

Drei Wirkungsweisen kommen vor allem zum Tragen:  

• Vibrationen, die vor allem den Körper ansprechen  

• Emotionen, die den besten Zugang zur Seele bieten und  

• Ordnung und Harmonie, die auf geistiger Ebene Blockaden abbauen können und die so genannte innere Balance wieder herstellen können 

 

Eine Musik mit regelmäßigem Rhythmus, harmonischen Klängen, gleich bleibendem langsamen Tempo wirkt für die meisten Menschen beruhigend. Man darf diese Aussagen jedoch nicht verallgemeinern, da manche Menschen mit Ruhe in der heutigen Zeit überfordert sind, und deshalb diese Musik ein unbehagliches Gefühl hervorrufen könnte. Aber im Normalfall entspannt uns diese Art der Musik: Die Atmung wird unbewusst tiefer und länger, passt sich sogar teilweise dem Tempo der Musik an, dadurch wird auch der Herzschlag langsamer. Somit sinkt auch der Blutdruck und die Körpertemperatur, letztendlich können sich auch die Muskeln von ihrer zu hohen Spannung befreien und der Stoffwechsel reguliert sich. Das beste Beispiel ist ein kleines Baby: ein Wiegenlied kann Wunder wirken um ein Kind zu beruhigen. Der gleichmäßige Sechsachteltakt, harmonische Melodien und die vertraute Stimme der Mutter oder des Vaters können das Kind so schnell beruhigen und zum Einschlafen bringen. 

 

Musik wird zunehmend im therapeutischen Bereich eingesetzt. Da ich ja selbst Musiktherapeutin bin, kann ich sozusagen ein Lied davon singen: 

Neue Forschungsergebnisse, die die positiven Wirkungen der Musik belegen, haben dazu geführt, dass Musik inzwischen auch bei uns zunehmend in Zahnarztpraxen und Krankenhäusern „verabreicht“ wird – zur Linderung von Schmerzen, zur Beruhigung oder als Mittel, um Ängste abzubauen und Stress entgegenzuwirken. Hebammen nützen die entspannende Wirkung der Musik, um Schwangeren eine leichtere Geburt zu ermöglichen, Physiotherapeuten nützen Musik in Entspannungstherapien. 

Papas können den Effekt ihrer tiefen Stimme nutzen, indem sie sich das Kind auf die Brust legen und das brummen anfangen. Viele Kleinkinder und Babys - aber auch größere Kinder genießen das sehr. Ich übrigens auch ;)

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3. Zur Entwicklung deines Kindes & wie Musik dein Kind da positiv beeinflussen kann:

Schlüsselqualifikationen, die jeder Mensch braucht & die Musik stimuliert sind: 

Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Flexibilität, Kreativität, Denken in Zusammenhängen, Selbstständigkeit, Problemlösefähigkeiten, Transferfähigkeit, Lernbereitschaft und Durchsetzungsvermögen, um die wichtigsten zu nennen. Spielen in der Gruppe wäre ohne Kommunikationsfähigkeit nicht möglich, genauso verlangt es Kooperationsfähigkeit und Flexibilität vom Musiker in einem Ensemble zu spielen. 

Persönlich finde ich das wichtigste, dass Musik uns einfach Freude bereitet uns glücklich macht und wir dadurch zu zufriedeneren Menschen werden. 

Aber es gibt noch mehr: 

Neurobiologische und neurophysiologische Begründung: Musikhören und –machen – belegen eindeutige Studien aus der Hirnforschung – fördern die Verbindung und Aktivität zwischen beiden Hirnhälften, sie führen zu gigantischen neuronalen Vernetzungen! Wir wissen heute, dass die Melodieverarbeitung in der Regel mehr in der rechten, die Rhythmusverarbeitung dagegen mehr in der linken Hirnhälfte geschieht, dass Musik also stets beide Hirnhälften aktiviert, was zu einer optimaleren Ausbalancierung beider Hemisphären führen muss. 

Außermusikalische Begründung: Hierbei geht es um den so genannten Transfereffekt des Musizierens auf die Persönlichkeit. Wir wissen aus der neueren Grundlagenforschung sehr wohl und insbesondere aus einer Langzeitstudie an Berliner Grundschulen mit musikbetonten Zügen, dass Musik, Musizieren und Musikerziehung kognitive, kreative, ästhetische, soziale, emotionale und psychomotorische Fähigkeiten in ein und demselben Lernprozess gefördert werden können. Auf zwei Phänomene muss hingewiesen werden: die Intelligenzentwicklung und die mit Musik zusammenhängende wachsende soziale Kompetenz. Zu Schulbeginn, d.h. bereits für eine frühe Altersphase, wurde ein monoton steigender Zusammenhang zwischen Intelligenz und musikalischer Begabung festgestellt. Mit höheren Musikalitätswerten steigen auch die IQ-Werte. 

Therapeutische und triebtheoretische Begründung: Allseits bekannt ist die „Wirkmacht der Musik auf unsere Psyche“. Wir wissen heute von ihrem heilenden und kompensativen Einsatz in der Musiktherapie. Keine Frage: „Es musiziert“ in jedem Kind, ob es das weiß und will oder nicht. Wir müssen es nur zulassen! Man muss sich nur hüten vor einer „Du kannst nicht singen“-Traumatisierung unserer Kleinkinder, wenn sie eine Oktav zu tief singen und als vermeintliche Brummer abgestempelt werden, um dann in der Grundschule in „vier Jahre Einzelhaft an der Triangel“ zu geraten.

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4. Warum Kleinkinder singen

Eine Studie (1997) über das Singen von Kleinkindern: Es gibt drei Funktionsbereiche: 1. Bewältigung negativer Gefühlslagen durch singen; 2. Energetisierung und Bewältigung positiver Gefühlslagen durch Singen; 3. Singen als Form der Selbstreflexion – allesamt Funktionen, die jeder Sänger in der Badewanne, in der Fankurve des Stadions oder besser noch im Chor an sich selbst erfahren.  

 

 

5. was passiert mit Grundschulkindern, wenn sie mehr musizieren:  

Zwischen 1992 und 1998 führte ein Forscherteam unter der Leitung von Professor Hans Günther Bastian an sieben Berliner Grundschulen (5 Klassen als Modellgruppe und 2 Klassen als Kontrollgruppe) eine Langzeitstudie „Zum Einfluss von erweiterter Musikerziehung auf die allgemeine und individuelle Entwicklung von Kindern“ durch. Dem Forschungsprojekt liegt die These zugrunde, dass Lernen eines Instruments, Musizieren im Ensemble und Musikunterricht die kognitiven (intellektuellen), kreativen, ästhetischen, musikalischen, sozialen und psychomotorischen Fähigkeiten von Kindern vorteilhaft beeinflussen und fördern können, daneben auch motivationale und emotionale Dispositionen wie Lern- und Leistungsbereitschaft, Konzentration, Engagement, Selbstständigkeit, Belastbarkeit und Ausdauer, Fremd- und Selbstkritik u.a.m. Die Kinder waren zwischen 6 und 12 Jahre alt. Die Modellgruppe wurde so gefördert indem sie im Rahmen ihrer Grundschulzeit zwei Stunden wöchentlich Musikunterricht bekamen, zusätzlich lernten sie noch in Einzel- und Gruppenunterricht ein Instrument und sie musizierten in verschiedenen Ensembles. 

Die Ergebnisse zur Intelligenzentwicklung:  

• Beide Schülergruppen entwickelten sich – bezogen auf ihre IQ-Mittelwerte – in den ersten Jahren ihrer Grundschulzeit zunächst nicht sehr unterschiedlich. Nach fünf Jahren Schulzeit und vier Jahren erweiterte Musikerziehung kommt es jedoch zu einem explosiven signifikanten IQ-Zugewinn bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen.  

• Kinder aus den musikbetonten Klassen, die bereits zu Projektbeginn im IQ-Test überdurchschnittliche Werte erreicht hatten, steigern diesen kognitiven Begabungsvorteil nach vier Jahren Instrumental- und Ensemblespiel signifikant deutlicher als Kinder aus der Kontrollgruppe.  

• Sozial benachteiligte und in ihrer kognitiven Entwicklung weniger geförderte Kinder (mit unterdurchschnittlichem IQ-Wert) profitieren ebenfalls von einer erweiterten Musikerziehung. Sie legen über die Jahre hinweg bezogen auf den IQ in der Tendenz kontinuierlich zu, was für unterdurchschnittlich kognitiv begabte Kinder aus der Kontrollgruppe nicht zutrifft. Dies ist im Übrigen ein politisch relevantes Ergebnis unserer IQ-Bilanzen.  

Was zu dem Schluss führt: Bildungspolitik mit Musik ist die beste Sozialpolitik! Das eindeutigste und für die Forscher selbst das überraschendste Ergebnis dieser Langzeitstudie bezieht sich auf die sozialpädagogische Wirkkraft der Musik, auf das Sozialverhalten: Der Anteil der Kinder, die nach dem Soziogrammanalysen keine Ablehnung (den Schüler mag ich nicht) erhalten, ist nach Einsetzen des Erlernens eines Instruments und des Ensemblemusizierens ab dem zweiten Schuljahr in der Modellgruppe signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Anders gesagt: Die Quote der Kinder, die keine einzige Ablehnung erhalten, ist in der gesamten Grundschulzeit in den Klassen mit Musikbetonung zu fast jedem Schuljahresende nahezu doppelt so hoch wie in den Klassen ohne Musikschwerpunkt! Weiters neigen die Schüler der Versuchsgruppe weit seltener und weniger zu Aggressivität als Schüler aus der Kontrollgruppe. Es wird auch ein Beispiel dafür genannt, dass zum Beispiel die Integration von Schülern, deren Muttersprache nicht deutsch ist, sich leichter und unproblematischer gestaltet als in der Kontrollgruppe. In der Musikklasse hat der Schüler das Gefühl genauso wichtig zu sein und ein Teil des Ganzen zu bilden, und wie wir alle wisse ist bekanntlich die Musik die Sprache, die keine Grenzen kennt. 

 

Genug der Theorie für heute. Das nächste mal geht es wieder praktischer zu: es geht dann ganz explizit um dich als Elternteil mit dem Titel: Musik für Eltern. Bis dahin lass es dir gut gehen und alles Liebe 

 

fridolina musik